Freitag, 22. Mai 2015

Rezension: "Die Nabel der Welt" von Nadine Luck


Hallo Zusammen,
 
manchmal bin ich schon froh, meine beiden Küstenkids in Deutschland zur Welt gebracht zu haben, und nicht, sagen wir mal, in Mexiko oder bei den Diola im Senegal. So konnte ich sowohl meinen Geburtsschmerz als auch - später - meine Freude herausschreien. Das ist ja nicht jedermanns Sache - aber mir persönlich hat es gerade gegen Ende sehr geholfen. In Mexiko jedoch hätte ich dafür statt Mitgefühl Spott geerntet. Noch schlimmer im Senegal: Dort hätte nicht nur mein sozialer Status gelitten, ich wäre womöglich sogar aus der Gemeinschaft der Dorffrauen ausgestoßen worden. In der Türkei wiederum hätte ich für meine spitzen Schreie im nachhinein viel Gold bekommen - in Form von Geschenken.

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Woher ich das alles weiß? Klar, ich hätte mich auf einer multikulturellen Mami-Party informieren können, habe dann aber doch lieber zu Nadine Lucks Buch "Die Nabel der Welt" gegriffen. Hier erfährt man auf 281 Seiten, welche witzigen, skurrilen und erschreckenden Bräuche und Traditionen es rund ums Kinderkriegen so alles gibt. Unter humoristischen Überschriften versammelt die Autorin, die übrigens auch einen lesenswerten Blog schreibt, viel Wissenswertes oder auch schlicht Kurioses, von der Zeugung bis zum ersten Geburtstag des geliebten Kindes. Das im CONBOOK Verlag erschienene Buch ist in überschaubare Kapitel aufgeteilt, die sich auch mal schnell zwischendurch oder beim abendlichen Stillen lesen lassen. Es ist als E-Book oder als Paperback erhältlich, wobei im "echten" Buch freundlicherweise ein Code enthalten ist, mit dem man sich einmalig kostenlos eine E-Book-Ausgabe herunterladen kann.
 
In die Kapitel eingebettet sind zudem die Rubriken "Gut zu wissen", "Ticker-Info", "Historisch", "Rezept" und "Ammenmärchen", die einen mit weiteren Informationen versorgen oder auch weit verbreitete Mythen entlarven, wie etwa, dass Mädchen von Anfang an auf Rosa und Jungs auf Hellblau geeicht sind. Bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts war nämlich genau das Gegenteil der Fall: Rosa war die Jungs-Farbe und Hellblau den Mädchen vorbehalten. Wie kommt's? Tsja, Rosa galt als das "kleine Rot", wobei Rot mit Kampf, Leidenschaft und - ja, genau - Männlichkeit assoziiert wurde. Blau hingegen als Farbe der Jungfrau Maria stand für das Weibliche schlechthin :)
 
 
Manche Bräuche liegen dabei geographisch gesehen gar nicht so fern, erscheinen aber - gerade im 21. Jahrhundert - äußerst fremdartig, wie etwa die niederbayrische Tradition, den Eltern eines Mädchens den Begriff "Bixnmocharei", also "Büchsenmacherei" an die Hauswand zu schmieren. Zeugt nicht gerade von einer feministischen Einstellung, oder? Doch nicht nur in Deutschland, so wird besonders in den postnatalen Kapiteln deutlich, sondern auch in weiten Teilen der Welt ist es leider immer noch von Vorteil, einen Jungen und nicht ein Mädchen zu bekommen.
 
Damit sind wir auch schon bei den Problemen, die bei Nadine Luck meist humorvoll verpackt, aber dennoch benannt werden. Bräuche und Traditionen bringen eben nicht nur die Tugenden einer Gesellschaft, wie beispielsweise das liebevolle Umsorgen der Schwangeren nach der Geburt, sondern auch deren Kehrseiten ans Tageslicht; zum Beispiel, wenn frisch gebackene muslimische Mütter den Koran weder anfassen noch lesen dürfen, weil sie in der Zeit des Wochenflusses als "unrein" gelten.
 
Viele Gepflogenheiten haben allerdings auch einen ernsten Hintergrund und dienen dazu, die Hygiene zu verbessern bzw. die Kindersterblichkeit zu verringern. Dies könnte etwa bei den Babys auf Bali zutreffen: Sie dürfen in den ersten sechs Lebensmonaten nicht den Boden berühren und genießen stattdessen den Luxus, ständig getragen zu werden.
 
Nicht nur beim Tragen sondern auch bei der Wahl des Geburtsortes oder der Frage, wie Babys schlafen sollen, scheiden sich ja hierzulande die Geister. Da hilft vielleicht ein Blick rechts und links über die Grenze: Nadine Luck zeigt zum Beispiel, dass gleich nebenan in Holland 20 bis 30 Prozent der Geburten Hausgeburten sind, während in Deutschland nur zwei Prozent der Schwangeren außerhalb eines Krankeshauses entbinden. Zum Thema Schlaf fand ich den von Frau Luck zitierten Ausruf einer Maya-Frau bemerkenswert, die schockiert nachfragte, als sie erfuhr, dass nordamerikanische Säuglinge nachts in einem anderen Raum schlafen als die Eltern: "Aber es bleibt jemand bei ihnen, nicht?" Insofern kann man das Buch auch als Plädoyer für mehr Toleranz in Geburtshilfe und Kindererziehung lesen :)

Mich persönlich hat besonders das Kapitel über den Umgang mit der Nachgeburt, der ausgestoßenen Plazenta berührt. Schließlich ist sie das Organ, das meine Kinder in der Zeit in meinem Bauch ernährt hat! Je nach lokaler Tradition, so erfährt man, wird sie feierlich bestattet, gegessen oder zur Herstellung von besonders wohltuenden Kosmetika verwendet. Besitzt man in Deutschland ein Einfamilienhaus samt Garten, pflanze man jedoch tunlichst einen Birn- oder Apfelbaum darauf. Das hört sich ein bisschen seltsam an - aber wer weiß, vielleicht würde eine solche "Düngung" unserem Apfelbaum gut tun?!
 
Schön fand ich auch die Geschichte von der so genannten "Glückshaube": Die hat ein Säugling auf, wenn er mit der Fruchtblasse über dem Kopf auf die Welt kommt. Dies bringt dem Volksmund nach Glück oder wird, jedenfalls bei den Maya, zu einer Berufung: Hat ein neugeborenes Mädchen ein Stück davon im Gesicht, wird sie womöglich später Hebamme. Na dann ist ja alles klar, kleines Küstenmädchen!
 
Apropos Hebammen: Gerade angesichts der aktuellen Debatte um die Notwendigkeit, die Entlohnung und die Versicherung von Hebammen ist das entsprechende Kapitel in "Die Nabel der Welt" lesenswert, das mehr als deutlich zeigt, dass es weltweit nicht ohne geht. In Bulgarien weiß man das offensichtlich besser als in Deutschland: Dort haben die Hebammen sogar ihren eigenen Feiertag.
 
 
Fazit:
 
Ein witziges, kurzweiliges und lesenswertes Buch, das gerade für junge Eltern bzw. Eltern in spe empfehlenswert ist. Und ein Blick über den Tellerrand schadet ja nie - dann relativiert sich vielleicht manches allzu strenge Paradigma hierzulande :)
 
 Und wenn Ihr Euch gern selbst einen Eindruck verschaffen wollt, habe ich hier noch ein "Goodie" für Euch: Mit einem Klick gelangt Ihr zu dem Kapitel Guten Abend, gute Nacht: Das Sandmänchen international, in das Ihr schon mal kostenlos reinschnuppern könnt!
 
***
Viel Spaß beim Lesen wünscht
 
Eure Küstenmami
 
 
Das Rezensionsexemplar von "Die Nabel der Welt" wurde mir freundlicherweise vom CONBOOK Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt.
 


3 Kommentare :

  1. Liebe Küstenmami,
    das klingt nach einem witzigen Buch! Und jetzt schreibst du auch noch Rezensionen - wann machst du all das?
    Ich wünsche dir einen schönen Abend,
    liebe Grüße
    Sternie

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    1. Liebe Sternie,

      ja, das Buch ist tatsächlich witzig, auch wenn manche Bräuche einen ernsten Hintergrund haben... und vor allem schön geschrieben!

      Wann ich das alles mache? Tsja, das hab ich mich auch schon gefragt ;) Lesen kann ich beim Stillen oder abends im Bett, vorm Einschlafen. Selber schreiben: Immer wieder, zwischendurch, wenn halt grad Zeit ist. Und insbesondere, wenn alle anderen schlafen... Habe ich erwähnt, dass ich ein wenig müde bin ;) Aber ich liebe es zu schreiben!

      Liebe Grüße und ein entspanntes Pfingstwochenende

      Deine Küstenmami

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    2. Liebe Küstenmami,
      ja, das mit der Müdigkeit kenne ich gut... *gähn* ;) ich habe ständig zu wenig Arme und die Kleine schläft nicht ohne Mama, da kann ich mit schlafenden Kind nur mit dem Handy, so wie jetzt ;)
      Ich wünsche euch auch ein schönes Pfingstwochenende!
      Liebe Grüße von
      Sternie

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