Freitag, 4. Dezember 2015

Ein Adventskalendertürchen und eine wunderbare Geschichte

 
Hallo Zusammen,
 
heute ist ein besonderer Tag, denn heute darf ich bei Tanja auf dem schönen Expat-Blog Tafjora - einmal Frankreich und zurück das 4. Türchen ihres vielseitigen Adventskalenders öffnen! Eigentlich ist es sogar ein doppeltes Türchen, denn es gibt zwei Dinge für Euch zum Lesen: Zum einen Tanjas Interview mit mir, in dem ich Antworten auf jede Menge Fragen rund um Weihnachten gebe. Schaut hier gerne mal vorbei!
 
Und zum anderen geht hier auf meinem Blog die Tür auf für eine Adventsgeschichte, die mir im Nachhinein selbst ziemlich seltsam, traurig und doch wunderbar vorkommt und die wirklich wahr ist. Sie ist mir passiert, jedoch in einer anderen Zeit und in einem anderen Land, vielleicht auch in einem anderen Leben. Ich finde jedoch, dass sie auch gut in unsere Zeit und unser Land passt, und sicherlich gut in die Adventszeit.

***
Es war um diese Zeit im Jahr; es war Anfang Dezember und lausig kalt. Es lag kein Schnee, aber Raureif überzog den Boden und der Asphalt glitzerte in der Dunkelheit.
 
Als ich dem Mann begegnete, der alleine die Straße entlang ging, hatte er alles verloren. Ich weiß gar nicht, warum ich anhielt, denn er sah ein bisschen verwahrlost aus und ging nicht mehr ganz grade. Es war sehr spät, und ich war ebenfalls allein. Vielleicht war es die ungeheure Traurigkeit in seinen Augen, die mich innehalten ließ, vielleicht fühlte ich mich nach den letzten merkwürdigen Tagen auch selbst ein bisschen verloren.
 
"Was haben sie denn?" fragte ich leise. Er schaute mich an, und ich sah an seinem Gesichtsausdruck, dass er mich nicht verstand. "Was fehlt Ihnen?" versuchte ich es wieder, diesmal langsamer und mit einer fragenden Geste. Da kam die Antwort, zögernd, tastend, als müsse er die neuen Worte erst ausprobieren: "Frau. Kind." Ich traute meinen Ohren kaum. Hatte ich richtig gehört? "Ihnen fehlen Frau und Kind?" "Weg," kam die Erklärung, die ich nicht gleich verstand. "Weit weg. Krieg." Ich konnte nur nicken, aber nichts sagen, denn in meinem Kopf entstanden tausend Bilder, Bilder voller Schrecken. Davon hatte ich mich doch fernhalten wollen! Hatte ich nicht genug eigene Probleme? Doch der Mann stand weiter da, geduldig, auf seinem Weg unterbrochen, und mit seiner Geschichte, die mit diesen paar kleinen Worten schon so groß geworden war.
 
Vor was immer ich sonst auch davongelaufen war, hier konnte ich es nicht. Ich konnte diesen Mann und seine Geschichte nicht so stehen lassen. Aber auf der Straße wollte ich nicht bleiben, es war zu dunkel und zu kalt. Also sind wir ins Warme gegangen, ins Licht, in ein Café. Wo er mir seine Geschichte erzählt hat, auf Englisch, denn das ging besser. Meine habe ich nicht gewagt zu erwähnen, denn sie war so klein, so lächerlich angesichts all des Elends von Bomben, Todesangst, Flucht, Alleinsein, Sorge um die Familie und unendlichem Heimweh, das sich da in knappen Worten vor mir ausbreitete.
 
Er musste aber hinter meiner Aufmerksamkeit den Kummer gespürt haben, denn plötzlich legte er seine Hand vorsichtig und leicht wie eine Feder auf meinen Arm und sagte: "Erzähl." Da brach es aus mir heraus, meine kleine unbedeutende Geschichte von Liebeskummer, vertanen Chancen, verlorener Zeit und zu großer Sehnsucht, die es mich zu Hause nicht mehr hatte aushalten lassen und mich auf die Straße getrieben hatte.
 
Als ich geendet hatte, sah der Mann mich an. "Schwer", sagte er. "Leben schwer." Ich nickte und lächelte vorsichtig, vielleicht zum ersten Mal an diesem Tag. Er auch. Wir sahen uns an und wussten, dass diese Worte für jeden von uns etwas anderes bedeuteten. Aber unser Lächeln, das bedeutete das gleiche.
 
Das Lächeln war ein Anfang. Und eine Ankunft. Mit wenigen Blicken, mit knappen Worten, mit einem scheuen Lächeln waren wir beieinander angekommen, auch wenn wir uns kaum kannten. Wir hatten einander zugehört, einander verstanden.
 
Alles, was danach folgte, war nüchterner, bürokratischer, sachlicher. Wir tauschten Telefonummern aus und verbrachten die nächsten Tage auf Behörden, in Warteschlangen und vor geduldigen Beamten, immer im Kampf um die ersehnte Aufenthaltsgenehmigung. In den Wartezeiten erzählte er mir mehr von seiner Heimat, seiner Familie und seinem Weg hierher. Meinen Liebeskummer erwähnte ich nicht mehr, aber manchmal, wenn ich abwesend in die Ferne starrte, nahm er meine Hand und hielt sie fest. Das beides, das Ringen mit den Behörden und seine Hand, halfen mir. Eigentlich wollte ich ihm helfen, aber vielleicht war es umgekehrt: Ich richtete meinen Blick wieder auf das Hier und Jetzt und auf das, was wirklich wichtig war.
 
Das mag für andere vielleicht komisch ausgesehen haben: Die junge blonde Frau und der alter fremdartig wirkende Mann, die sich an den Händen hielten. Doch für uns war es gut so, und wir wussten, was es war und was es nicht war.
 
Später konnten seine Frau und sein Kind tatsächlich nachkommen und kurz danach bekam die Familie noch ein Baby. Inzwischen leben sie längst in einer anderen Stadt, in einem anderen Leben, ebenso wie ich.
 
Ich denke gelegentlich an sie, besonders, wenn ich Kummer habe und mich verloren fühle. Oder eben jetzt in der Adventszeit, die für mich auch immer eine Zeit der Ankunft ist. Und eine Zeit der Begegnung, und sei es auch nur auf einer dunklen Straße. Denn in einer solchen Begegnung kann - für uns alle - eine ganze Zukunft liegen.
 
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Ihr Lieben, ich wünsche Euch eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit!

Eure Küstenmami
 


2 Kommentare :

  1. Ein toller Post und in dieser Zeit so passend.. voller Nächstenliebe.. wirklich schön!

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