Mittwoch, 20. April 2016

Vom Trauern um mein Sternenkind

#Schiffsmeldungen

Moin, Ihr Lieben!

Heute habe ich schwere Fracht mit an Bord genommen, mit auf diesen Blog. Beziehungsweise ein schweres Thema; jedenfalls ist das das Wort, das momentan am besten beschreibt, wie ich mich fühle: Schwer, oder vielleicht auch beschwert. Oder kennt Ihr einen passenden Begriff, der ein Gegenwort zu "unbeschwert" bildet?

Denn letzteres bin ich nicht mehr. Im Gegenteil: Schwer, bleischwer, tonnenschwer, fühle ich mich nach dem Verlust unseres geliebten Küstensternchens, auch wenn das vielleicht von außen anders aussieht und meinen übrigen, lustig-leichten Posts nicht so anzumerken ist. Schwer fallen mir zudem das ganz normale Leben und der ganz normale Alltag, die ja auch weitergehen müssen. Und schwer ist es, in diesem Alltag Platz zum Trauern zu finden - das ist etwas, was ich so nicht erwartet hätte und worüber ich heute schreiben möchte.

Überhaupt soll das Thema Sternenkinder eine der neuen Rubriken hier auf dem Blog werden, wie ich es Euch ja schon in meinem ersten, programmatischen Beitrag nach meiner Auszeit angekündigt habe. Denn dieser Aspekt gehört, wie ich und viele andere erfahren mussten, auch zum Elternsein bzw. Elternwerden dazu. Viele von Euch haben sich in ihren Kommentaren und Zuschriften gewünscht, dass dieses Thema eben nicht totgeschwiegen wird, sondern  - ebenso wie ihre verlorenen Kinder - Annahme, Austausch und Anerkennung erfährt. Dem möchte ich nachkommen, auch wenn mir natürlich bewusst ist, dass die Trauer, über die ich schreibe, immer meine Trauer sein wird, und andere ihre ganz eigene Art zu trauern haben, die eben anders, aber genauso berechtigt ist.

Mehr Platz für andere Themen auf dem Blog ist auch einer der Gründe dafür, dass Ihr heute nicht, wie gewohnt, den #Familienmoment hier lest. Er wird nicht mehr jede Woche mittwochs, sondern "nur" noch jeden 2. und 4. Mittwoch im Monat stattfindet. Aber Ihr könnt Euch schon mal vorfreuen: Nächste Woche, am 27., ist er wieder da!

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Doch zurück zur Trauer.

Aller Abschied ist schwer, heißt es. Ja, das stimmt: Furchtbar schwer, steinschwer, jedenfalls für mich. Er zieht mich nach unten, in ein Meer von Traurigkeit.

Vielleicht wehre ich mich auch dagegen, denn in Wirklichkeit will ich gar keinen Abschied. Ich will meinem Küstenmini, meinem kleinen Baby, nicht "Lebewohl" sagen, denn das hört sich für mich falsch an. Es wird eben nicht "wohl leben", jedenfalls nicht auf dieser Erde. Und allein diese Tatsache, der ich dennoch ins Auge sehen muss, tut unsagbar weh, so weh, dass ich sie kaum schreiben kann.

 Abschiednehmen würde außerdem bedeuten, dass ich mein Sternenkind loslassen muss. Ich will es aber nicht loslassen, ich will es ganz nah bei mir behalten. Es festhalten, es spüren, im Arm oder zumindest im Bauch wiegen.

Das geht aber nicht.

Damit muss ich mich abfinden, daran muss ich mich gewöhnen. Das funktioniert aber nur langsam, denn wie ich hier schon schrieb, braucht das Verabschieden Zeit. Es ist ein Teil von mir, der geht, den ich gehen lassen muss: Mein eigenes Kind. Das schmerzt, als hätte jemand ein Stück meines Herzens aus mir herausgerissen: So etwas Ersehntes, Willkommenes, Geliebtes kann man, kann ich nicht einfach mit einem Achselzucken hinter mir lassen.

Deshalb ist Verabschieden für mich kein einmaliges Ereignis, sondern ein längerer Vorgang. Ich brauche dafür Zeit und Raum; um zu trauern und um mich selber wieder zu finden. Und diesen Platz für die Trauer suche ich noch.

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 Denn im Alltag ist der eher nicht zu finden. Unser Leben ist nach wie vor turbulent, voller Aktivität und - allmählich wieder - Lebensfreude. Und das ist etwas Gutes! Zu verdanken ist das vor allem meinen beiden lieben, lebhaften und lebensfrohen Küstenkindern. Mit denen will ich spielen und lachen, und das tue ich auch. Ja, ich kann auch wieder spielen und lachen! Ich funktioniere wieder, und das gar nicht mal im schlechtesten Sinne. Bin wieder aufgestanden, wie man so schön sagt. Versorge die Kids, die Katzen und den Haushalt (fast) wie immer. Und das tut mir gut, weil es bedeutet, dass ich imstande bin, den Teil meines Ichs, der tapfer, tüchtig, tatkräftig und lebensfroh ist, zu aktivieren. Manchmal bin ich ganz erstaunt, wie gut alles nach so kurzer Zeit wieder läuft und wie gut es mir dabei schon gehen kann.

Einerseits.

Andererseits ist die Trauer dadurch ja nicht weg. Im Gegenteil, sie ist weiterhin da, sie liegt einfach nur tief unter allem anderen. Ja, wie in der Tiefsee vergraben, unter dem, was fröhlich darüber hinweg plätschert. Denn eigentlich, in meinem Innern, bin ich todtraurig, auch wenn ich gerade lache. Und es reicht eine Kleinigkeit, um dieses Lachen in Weinen zu verwandeln. Eine freundliche Erkundigung, wie es mir geht, eine Erzählung, in der die Worte "Baby", "Geburt" oder auch einfach "Verlust" vorkommen. Oder auch nur ein dekoratives Sternchen auf den süßen neuen Puschen meines Küstenmädchens, die da sind, weil ich Sterne schon immer wunderschön fand - nur dass sie jetzt eine neue Bedeutung für mich erhalten haben. Ja, alles, einfach alles ist momentan imstande, mich anzuticken. Dann bricht die Trauer wieder durch und ich weiß nicht mehr, wohin mit mir und meinen Gefühlen.

Der Alltag also ist es, der bei uns ganz viel Raum einnimmt; ein Raum, in dem (fast) kein Platz für Trauer ist.

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Manchmal ist aber auch einfach keine Zeit zum Trauern da, weil die ganz normalen Abläufe sie komplett auffressen. Die Kinder haben Hunger, wollen rausgehen und müssen gewickelt werden, und eigentlich noch so viel mehr. Wann soll ich da weinen, wann soll ich mich zurückziehen? Wie soll ich Zeit für mein verlorenes Kind finden, wenn meine lebendigen Kinder mich dringend brauchen? Das geht schlicht nicht. Dann dränge ich die Trauer zurück, weil gerade andere Dinge gefragt sind.

Und dann ist wieder zu viel Zeit zum Trauern: Abends, wenn die Kinder schlafen, und es still, viel zu still im Haus wird. Wenn kein winziges Neugeborenes, kein Küstenmini da ist, das an die Brust drängt, herumgetragen und geknuddelt werden will. Dann machen sich das Vermissen und der Schmerz breit. Aber dann ist es oft zu plötzlich, zu viel. Es überfällt mich in einem solchen Maße, dass es mich überwältigt, Sturzbäche in meinem Gesicht auslöst und ich nicht mehr weiter weiß.

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Ich bin nicht mehr in der Balance, doch das wäre ich gern wieder. Ich brauche einen Kanal, einen Ort, einen Platz für meine Trauer. Ich muss meine Trauer rauslassen, sie leben, sie mit ins Leben einbeziehen können, ohne dass sie das Leben übernimmt, ohne dass sie mich auffrisst. Ich brauche einen Ort, an dem ich heilen kann, in meinem Tempo und auf meine Weise. In Anerkennung der Wunde, aber ohne dass sie ständig neu aufplatzt und sich immer tiefer bohrt.

Eine Freundin hat mich gefragt, wo denn mein Lieblingsort sei, eine Stelle, an der ich mich wohlfühle und mich entspannen kann. Das sind normalerweise der Strand und das Meer. Dort komme ich an, dort bin ich Zuhause. Da waren wir auch schon, und das hat gutgetan. Doch das ist mehr ein Platz für unsere gesamte Familie, ein Familien- und kein Trauerplatz, wenn Ihr versteht, was ich meine. 

Wenn man mich hingegen nach einem Ort speziell für das Küstenmini und mich fragen würde, dann wäre das das Bett. Mein Bett, unser Familienbett, in dem ich eigentlich auch mein Wochenbett verbringen wollte. Kuschelnd, stillend, übermüdet, seelig. Und nicht an Leib und Seele verwundet, einsam, zusammengerollt und zutiefst verzweifelt. Die ersten Tage nach dem Verlust meines Sternchens habe ich dennoch darin gelegen, mich eingegraben, um zu trauern und auch, um für meinen versehrten Körper zumindest ein so genanntes 'kleines' Wochenbett einzuhalten. Doch schnell bin ich wieder aufgestanden, vielleicht zu schnell. Der Alltag war da, meine Küstenkinder...

Ja, im Alltag bin ich wieder angekommen. Aber mein Körper und meine Seele müssen erst nachkommen, glaube ich. Ich, mein Ich ohne das Küstenmini, muss erst nachkommen, sich wieder neu formen und aufbauen. Ich würde mich gern wieder ein bisschen leichter fühlen, nicht mehr ganz so schwer an der Last der Trauer zu tragen haben.

Vielleicht muss ich dazu in mein (Wochen-)Bett zurückkehren, mich hinlegen, einkuscheln und ausweinen, auch wenn das nur für ein paar Stunden am Wochenende oder jeden Tag für ein paar kurze Momente möglich ist. Und meine Trauer nicht unter-, sondern ausdrücken, damit sie nicht mehr nur eine drückende Last bleibt, sondern das Schwere - irgendwann - vielleicht ein bisschen leichter wird.

Und das Ausdrücken möchte ich nicht nur im Weinen geschehen lassen, sondern auch im Schreiben, so wie jetzt. Denn hier auf dem Blog ist ebenfalls ein Platz für meine Trauer, ebenso wie das im Familienbett der Fall ist. Das ist für mich in Ordnung so - und ich hoffe, für Euch auch.

***
Das war ein langer, schwieriger Post, aber auch ein wichtiger, denke ich. Danke für's Zuhören!

Ach übrigens, kennt Ihr ein Wort, das quasi in der Mitte zwischen "beschwert" und "unbeschwert" liegt, so als Arbeitstitel für mich auf dem Weg von einem zum anderen?

Welche Erfahrungen habt Ihr mit Trauer gemacht? Wie ist Euer Weg?

Ganz liebe, nachdenkliche Grüße

Eure Küstenmami




14 Kommentare :

  1. Wir haben damals (nach einem halben Jahr glaub ich) einen etwas größeren Findling/ Handschmeichler beschriftet und auf das Grab meines Schwiegervaters dazu gelegt. Damit wir einen Ort hatten. Fast 10 Jahre später kam dann unsere Große zur Welt. Wir hatten Angst. Wollten nicht nochmal dadurch gehen müssen... Aber dann kamen noch 2 dazu...
    Die Große fragt manchmal genauer nach. Wieviele Babys ich im Bauch hatte. Ich habe mich für die Wahrheit entschieden. Meinem Mann fällt es sehr schwer darüber zu reden. Aber es gehört eben auch zu uns... Wie Du schon in Deinem Post geschrieben hast.

    Ich glaube, dass es wichtig ist, den für sich richtigen Ort zu finden. An dem man mal ausharren kann, nachdenken kann...
    Ganz viel Kraft Dir und Euch!

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    1. Die Idee mit dem Findling finde ich wunderschön - danke dafür!

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  2. Meine beste Freundin hat vor 1,5 Jahren ihr erstes Kind nur 2 Tage vor der Geburt verloren. Der kleine Kerl war plötzlich einfach tot. Unfassbar! Ich rief sie an, weil ich wissen wollte, ob noch alles ruhig sei oder die Geburt bevorstehe, da sagte sie mir, ihr Kind sei tot. Wie kann das sein?
    Sein Tod riss mich um, ich konnte und wollte es nicht wahr haben, meine Freundin ist wirklich ein herzensguter Mensch, sie war lange alleine und wurde erst sehr spät schwanger, sie hat unbedingt ein Baby verdient!
    Als ich auf der Beerdigung war rief mich die Lehrerin meines Sohnes an und wir sprachen über ein Kind aus der Klasse, das daheim geschlagen wird. Das war extrem schwer für mich.
    Jetzt ist sie endlich wieder schwanger, erst in der 14. Woche, wir haben noch ca. 22 furchtbare Wochen vor uns. Ich bin ein nervliches Frack! Ich will nur eins: dieses Baby gesund und lebendig im Arm halten!
    Ich wünsche allen, die diesen Wunsch haben, daß er in Erfüllung geht!
    Alles Liebe, Martina

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    1. Ach, das tut mir furchtbar leid für Euch! Ich drücke Euch ganz fest die Daumen, dass diesmal alles gut wird!!!
      Ich denke an Euch, Küstenmami

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  3. Fühl Dich gedrückt! Ich kann erahnen, wie Du Dich fühlst.

    Ich habe erst jetzt darüber schreiben können, es ist schon mehr als 1 1/2 Jahre her... Ich fühlte mich ähnlich, es gab kaum Zeit zum trauern im Trubel des Alltags. Und irgendwann ließ der Schmerz allmählich nach. Ich hoffe, dass dieser Zeitpunkt auch für Dich bald kommt.

    Alles Liebe, Nadine

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    1. Danke, liebe Nadine, ja, das hoffe ich auch, auch wenn das jetzt kaum vorstellbar erscheint. Fühl Dich ebenfalls umarmt - ach, so viele verwaiste Eltern hier!
      Deine Küstenmami

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  4. Ich bin mit den Erzählungen meiner Tante über ihr gestorben Kinder (während der Vertreibung) groß geworden und mit ihrem Schmerz. Gerade deshalb gefällt mir auch Barbara Pachl-Eberhardts Buch "Vier minus Drei". Sie hat zwei Kinder und den Mann bei einem Unfall verloren, trotzdem ist das Buch tröstend. Vielleicht hilft es auch dir, wenn die Zeit dafür reif ist. Alles Liebe Steffi

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  5. Zwischen "schwer" und "unbeschwert" ist es schwer ein genaues Wort zu finden. Dazwischen liegt das achtsame und aufmerksame Leben, dazwischen liegt die Waage, die ihre beiden Arme immer wieder ausbalanciert - noch bevor eine der beiden Wagschalen ganz unten landet. Vielleicht bedeutet es einfach, wieder heil zu sein.

    Ich drücke dich und sende dir aus tiefster Seele alles, was du jetzt brauchen magst!

    Jessi

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    1. Soooo lieb von Dir, Jessi, danke! Ja, heil würde ich gerne wieder werden... vielleicht ist das ja eines Tages möglich.

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  6. Ich habe selbst noch keine Kinder und kann mir deinen Schmerz daher nicht mal ansatzweise vorstellen geschweige denn mitreden, aber ich wollte einfach ein paar kurze Worte dalassen: Ich wünsche euch ganz viel Kraft!

    Mena

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    1. Danke, Mena, Kraft können wir wirklich brauchen!
      Ganz liebe Grüße an Dich!

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  7. Zwischen unbeschwert und beschwert liegt beschwerlich. Ein beschwerlicher Weg, für den ich dir weiterhin viel Kraft wünsche!
    Wir haben selbst erst seit ganz Kurzem die Gewissheit, dass das Herz unseres Babys aufgehört hat zu schlagen. Mich trägt die Zeit mit meinem Mann und unserem großen Sohn, und auch dir herzensguten Worte unserer Freunde. Auf dem Blog liest man von unserer schweren Zeit bis jetzt nur zwischen den Zeilen. Bald aber werde ich wohl auch ganz offen darüber schreiben - aber das braucht noch etwas Abstand.

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    1. Ach, das tut mir furchtbar leid für Euch!!! Ich schicke Euch ganz viel Kraft und drücke Dich, wenn Du möchtest. Ja, mir hilft das Schreiben - vielleicht geht es Dir ähnlich. Und nimm Dir die Zeit, die Du brauchst...

      Ganz liebe Grüße, ich denke an Dich!
      Deine Küstenmami

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